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Willkommen in einer Zukunft ohne Zins

Die SNB, die EZB und andere Zentralbanken erwarten auch langfristig keine Zinswende – und machen Nullzinsen zur Regel. Eine Übersicht der Prognosen.

Willkommen in einer Zukunft ohne Zins

Hält sich die Option offen, die Leitzinsen noch tiefer ins Minus zu senken: Die EZB in Frankfurt. Foto: Keystone

Diese Woche ist die Welt einer Zukunft ohne positive Zinssätze ein Stückchen näher gerückt. Schwedens Notenbank erneuerte ihren Zinspfad. Erstmals geht sie davon aus, dass sie den Leitzins mindestens bis September 2023 unverändert auf 0% halten wird. So weit voraus hat bisher noch keine Zentralbank explizit Zinserhöhungen ausgeschlossen.

Die Schwedische Reichsbank spricht allerdings nur aus, was die Währungshüter in anderen Ländern indirekt ebenfalls andeuten. Die Corona-Pandemie hat zur Folge, dass sie die Zinsen noch Jahre nahe oder unter null halten werden. Einer nach dem anderen hat die Zinswende nach oben weiter in die Zukunft verschoben.

Die Prognosen der Währungshüter:

1. Das Federal Reserve System in den USA drückte im März den Fed-Funds-Zielsatz auf null (Fed Funds-Zielband: 0 bis 0,25%). Das Fed gab damit den Zinsvorteil auf, von dem die USA jahrelang profitierten und der sicherstellte, dass genügend ausländisches Kapital zufliesst, um das Zwillingsdefizit im Staatshaushalt und der Leistungsbilanz zu finanzieren. Damit ist nun Schluss – und zwar für lange Zeit. Fed-Chef Jerome Powell wählte für diese Botschaft eine besonders einprägsame Formulierung: Es sei sogar zu früh, um darüber nachzudenken, ob über eine Zinserhöhung nachgedacht werden soll, sagte er den Medien im Juni. Die hauseigene Wirtschaftsprognose geht vom aktuellen Zins bis Ende 2022 aus. Nur zwei der 17 Mitglieder des Offenmarktausschusses der Zentralbank rechnen bereits davor mit einer ersten Zinserhöhung.

2. Die Botschaft der Europäischen Zentralbank (Einlagesatz: -0,5%) ist kaum weniger deutlich. Der EZB-Rat hält sich ausdrücklich die Option offen, die Leitzinsen im Euroraum noch tiefer ins Minus zu senken. Eine Erhöhung kommt dagegen nur in Frage, falls zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Erstens müssen sich «die Inflationsaussichten deutlich dem EZB-Inflationsziel von nahe aber unter 2% annähern».
  • Zweitens muss sich «diese Annäherung in der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation durchgängig widerspiegeln».

Ein deutlicher und anhaltender Anstieg der Inflation ist nicht zu erwarten. Denn die Kapazitäten sind unterausgelastet und die Wirtschaft wächst in vielen Euro-Mitgliedsländern nur schwach.

3. Die Schweizerische Nationalbank (SNB-Leitzins: -0,75%) kann wegen dem Aufwertungsrisiko für den Franken kaum vor der EZB den Leitzins anheben. An ihrer vierteljährlichen Lagebeurteilung im Juni präsentierte sie ein Basisszenario, das erst ab dem zweiten Quartal 2022 wieder mit einer leicht positiven Teuerungsrate rechnet. Dies geschieht unter der Annahme, dass der Leitzins bis dann auf dem aktuellen Niveau bleibt. Würde die SNB ihn vorher anheben, dürfte die Rückkehr aus der Deflation noch längere Zeit in Anspruch nehmen.

4. Die Zentralbanken in Grossbritannien (Bank Rate: 0,1%) und Australien (Cash Rate: 0,25%) sprechen sich zwar gegen die Einführung negativer Leitzinsen aus. Dafür haben sie im Juni die aktuellen Zinssätze nahe null noch einmal bekräftigt. Ähnlich die Bank of Japan. Sie möchte den Leitzins (aktuell: -0,1%) ungern weiter in den negativen Bereich senken. Dafür ist ihr Bekenntnis zu einem Nullzinsniveau umso stärker: Sie hält sogar den Marktzins zehnjähriger Staatsanleihen nahe 0%, indem sie massiv am Anleihenmarkt als Käufer auftritt und die Kurse pflegt.

Dahinter steckt das geldpolitische Konzept einer Zinskurvenkontrolle (Yield Curve Control, YCC). Eine Zentralbank sendet nicht mehr nur Zinssignale in die Wirtschaft, indem sie das Niveau des kürzesten Geldmarktsatzes fixiert (den traditionellen Leitzins), zu dem sich Banken über Nacht oder für einen Tag Geld beschaffen oder bei der Notenbank parken, und von diesem Zinsniveau aus die übrigen Kundenzinsen berechnen. Bei der YCC kontrolliert die Notenbank auch mehrjährige Zinsen am Kapitalmarkt. Der Marktmechanismus wird ausgehebelt: Die Notenbank kauft so viele Zinspapiere der entsprechenden Laufzeit auf, bis der Kurs wie gewünscht steigt und spiegelbildlich dazu die Marktverzinsung auf das anvisierte Niveau von 0% fällt. Als zweite Notenbank hat in der Corona-Pandemie auch Australien einen solchen Zinsdeckel eingeführt: 0,25% für dreijährige Anleihen. Das US-Fed denkt inzwischen ebenfalls darüber nach, eine YCC einzuführen.

Welche Konsequenzen wird das haben?

Die Absicht der Zentralbanken ist also eindeutig: Nullzinsen sollen noch auf Jahre hinaus die Regel bleiben. Diese Botschaft beginnt nun auch, die Meinungsführer an den Finanzmärkten zu beeinflussen. Die Analysten der US-Grossbank Citi haben nach der jüngsten Zinssitzung der BoJ ihre Erwartung für eine Zinswende von bisher Oktober 2021 auf Juli 2023 hinausgeschoben. Die Ratingagentur Standard & Poor’s geht davon aus, dass das Fed in den USA die Zinsen mindestens bis 2023 auf dem historischen Niveau halten wird. In Europa liegen die Erwartungen nicht anders. Credit Suisse kommentiert den Ausgang der SNB-Lagebeurteilung im Juni als Hinweis darauf, dass die SNB den Leitzins mindestens bis ins erste Quartal 2023 halten wird. Unicredit-Chefökonom Erik Nielsen schreibt diese Woche sogar, dass im Euroraum die Zinsen mindestens bis 2025 nicht steigen werden! Behält er Recht, wird die Nationalbank nach dem fünfjährigen auch noch das zehnjährige Negativzins-Jubiläum begehen. Sie hatte angesichts des Frankenschocks 2015 den Leitsatz unter null gedrückt.

Bleibt nur die Frage, ob eine Welt ohne positive Zinssätze am Ende mehr Nutzen oder Schaden bringen wird. 

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Andreas Neinhaus
Andreas Neinhaus ist seit 1997 als Redaktor bei «Finanz und Wirtschaft» tätig und schreibt über geld- und währungspolitische sowie konjunkturelle Fragen.
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